Die pädagogisch-psychologische Konzeption der Krishnamurti-Schulen Krishnamurti - eine kurze Betrachtung

Kann K. im Zusammenhang mit den eingangs beschriebenen Ausführungen gesehen werden, und wenn ja, wie kann dies geschehen ohne eine definierende, rationalisierende Einordnung vorzunehmen?
Wo wären die wesensmäßigen Unterschiede zu suchen? 
Weiterhin soll die Frage aufgeworfen werden, ob daß, was K. sagte, wirklich neu war, oder ob er "nur" versuchte, in unkonventioneller Sprache (und Weise) einer Wahrheit Ausdruck zu verleihen, die viele Weise zu allen Zeiten und in vielen Epochen versuchten, all jenen die dafür offen waren, zu vermitteln?

Hierzu abschließend der Versuch einer kurzen Betrachtung:

Die Geschichte der Menschheit kann auch eine Geschichte der Grenzen genannt werden.
Eine Geschichte geistiger  Grenzziehungen, welche mit der Entwicklung des Bewußtseins ihren Anfang nahm.
Diese Grenzziehungen, die Entwicklung von verschiedenen Identitätsstrukturen kann wie folgt beschrieben werden:

Von der Nichtunterschiedenheit mit der Natur zu einer Differenzierung des Organismus und Natur,  zur Unterscheidung von dem Organismus und einem Ich, hin zu einer weiteren Einengung des Selbstes in eine Persona (und dem Schatten).

Diese individuell gezogenen Grenzlinien, aus denen alle geistigen Konflikte herrühren, sind nun aber veränderbar; vielleicht weniger i.S. einer Grenzerweiterung, als vielmehr einer Bewußtseinsintensivierung, denn es kann sich "niemals um eine Bewußtseinserweiterung handeln..." denn diese wäre lediglich eine "räumlich gedachte Quantifizierung des Bewußtseins, wodurch sie illusorisch wird. Es kann sich nur um eine Bewußtseins-Intensivierung handeln, und dies nicht deshalb weil ihr etwa qualitativer Charakter zugesprochen werden könnte, sondern weil sie ihrem Wesen nach 'außerhalb' einer nur qualitativen Wertung oder einer quantitativen Entwertung steht" (Gebser, J. 1986, S. 168).
Es ist von jedem selbst bestimmbar, wo und vor allem "wie" er seine Grenzlinien, die Felder seiner Identität zieht: welche Aspekte des Seins als Selbst und welche als Nicht-Selbst gesehen werden.
Ken Wilber sagt hierzu:

     "Wenn Sie ihr 'Selbst" beschreiben oder erklären oder auch nur innerlich spüren, ziehen sie in Wirklichkeit, ob Sie es wollen oder nicht, im Geist eine Linie oder Grenze über das ganze Feld Ihres Erlebens, und alles, was innerhalb dieser Grenze liegt, nennen Sie oder empfinden Sie als Ihr "Selbst", während Sie alles außerhalb dieser Grenze als 'Nicht-Selbst' empfinden. Die Identität Ihres Selbst ist, anders ausgedrückt, völlig davon abhängig, wo Sie diese Grenzlinie ziehen" 
    (Wilber, K. 1988, S. 14, Hervorheb. im Original).
Eben diese (individuell gezogene) Grenze zwischen Selbst und Nicht-Selbst verschafft uns die Illusion eines abgetrennten Ichs.
Dieses Ich ist (aus den verschiedensten Gründen, vgl. Teil B, Punkt 3.1.1) bemüht, sich unter allen Umständen aufrechtzuerhalten - und somit auch den Konflikt. Daher spricht K. Wilber auch von einer Urgrenze: 
    "Die Urgrenze zwischen Selbst und Nicht-Selbst ist so grundlegend, daß all unsere anderen Grenzen von ihr abhängig sind. Wir können kaum Grenzen zwischen Dingen unterscheiden, bevor wir uns von Dingen unterschieden haben. Jede Grenze, die man selbst schafft, hängt von der eigenen gesonderten Existenz ab, d.h. von der Urgrenze zwischen Selbst und Nicht-Selbst"
    (ebd. S. 67, Hervorh. im Original)
Diese Urgrenze ist es, die uns von dem Bewußtsein der "Einheit aller Dinge", der Selbst-Losigkeit, dem Erkennen von dem "was ist" abhält. 
Aus ihr entstammen alle trennenden, uns beherrschenden Vorstellungen, die Versuche uns (durch Wege, Systeme, Ideologien, Religionen etc.) von dieser Urgrenze, dem Urkonflikt, zu befreien. Aber:
    "Nur allzu leicht könnte man aus dem Vorangegangenen fälschlich folgern, um das Bewußtsein der All-Einheit herzustellen, müßte man nur die Urgrenze zerstören. Sehr vereinfacht trifft dies zu, aber die Situation ist in Wirklichkeit noch viel einfacher. Tatsächlich brauchen wir uns nicht die Mühe des Versuchs zu machen, und das hat einen höchst einfachen Grund: die Urgrenze gibt es nicht" 
    (ebd. S. 68f., Hervorh. d. Verf.).
Und Jean Gebser sagt adäquat von dieser andersgearteten Bewußtseinsstruktur,  sie "kann deshalb auch nicht angestrebt, sondern höchstens wachgerufen werden. Wer sie anstrebt und somit mental erreichen will, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt" (Gebser, J. 1986. S. 405).
Diese Erkenntnis weist Parallelen zu Krishnamurti auf, warum auch er allen Bemühungen, allen Anstrengungen auf diesem Gebiet eine Absage erteilt: "Erkennen Sie daß das Zentrum, das Selbst gerade durch ihre Bemühungen gestärkt wird. Je größer ihre Anstrengungen werden, sich vom Zentrum zu befreien, um so stärker wird das Selbst" (Krishnamurti, J. 1985, S. 10). Denn - so im Kontext auch Ken Wilber - es "wird der Versuch, die Urgrenze durch aufwendige Bemühungen wie Yoga, Konzentrationsübungen, Gebet, Rituale, Gesänge und Fasten zu 'zerstören, die Illusion nur verfestigen und verewigen, weil der Versuch die Urgrenze als real ansieht" (Wilber, K. 1988, S. 69,  Hervorh. durch d. Verf.).

Die Trennung in ein (erlebendes) Subjekt und ein (erlebtes) Objekt existiert nicht. Diese Differenzierungen sind vielmehr künstlich errichtet und uns (leider) so vertraut, daß wir sie als absolut  real ansehen. Sehr eindringlich erklärt Wilber dies uns an einem Beispiel: 

    "Aber ist es andererseits nicht seltsam, daß ich mich als der Sehende bezeichne, der die Dinge sieht, die gesehen werden? Oder der Hörer, der die gehörten Laute hört? (...) Wir könnten ebenso gut einen einzigen Wasserstrom als 'den Strömer' bezeichnen, 'der das Strömende strömt'. Das ist äußerst redundant; hier werden drei Faktoren eingeführt, wo tatsächlich nur einer ist"
    (ebd. S. 71).
Der Gefahr diese verborgen wirkende Realität mental und rational  erfassen und verarbeiten zu  wollen, begegnet J. Gebser sehr erhellend und effektiv, wenn er sagt, daß es sich
    "weder um ein neues Weltbild noch um eine neue Weltanschauung oder eine neue Weltvorstellung handelt. Eine neues Weltbild wäre nichts als eine neue Mythisierung, denn allem Bildhaften eignet vornehmlich Mythencharakter; eine neue Weltanschauung wäre nur eine neue Mystik (und Irrationalisierung), denn allem Anschauen, insofern es eben Schau ist, eignet vornehmlich Mystikcharakter; eine neue Weltvorstellung aber wäre nichts als eine der schon zahlreich vorhandenen Rationalisierungen, denn allem Vorgestellten eignet vornehmlich rationaler Abstraktionscharakter.
    Uns kommt es auf eine neue Wirklichkeit an, die ganzheitlich wirkende Wirklichkeit ist; in welcher Potenz und Akt als Wirkendes und Bewirktes gegenwärtig ist; in welcher der Ursprung dank der Gegenwärtigung neu aufblüht und in der die Gegenwart umfassend und ganzheitlich ist. Diese ganzheitliche Wirklichkeit ist Weltdurchsichtigkeit, eine Welt-wahrnehmung: ein Wahr-Nehmen und Wahr-Geben der Welt und des Menschen und alles dessen, was die Welt und den Menschen durchscheint"
    (Gebser, J. 1986. S. 33f. Hervorheb. im Original).
Nur wer  dieser Gegenwärtigung ansichtig werde, bei dem und an dem könne sich eine grundlegende Transformation vollziehen; die Illusion der Urgrenze verschwindet: Krishnamurti spricht hiervon in einer Zusammenfassung seiner Lehre. Hier ein Auszug:
    "Wenn sich der Mensch seiner eigenen gedanklichen Vorgänge bewußt wird, erkennt er die Spaltung zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten, zwischen dem Erfahrenden und der Erfahrung. Er wird entdecken, daß diese Spaltung eine Täuschung ist. Nur dann kommt es zur reinen Beobachtung, zur Einsicht ohne jeden Schatten der Vergangenheit oder der Zeit. Diese zeitlose Einsicht führt zu einer tiefen, radikalen Umwandlung des Geistes"
    (Krishnamurti, J. 1980, Broschüre).
Krishnamurti versucht, mit einem Minimum an Bildhaftem, Symbolischem und traditionellen Vermittlungen und Vorstellungen an denen gehaftet werden könnte auszukommen. Er akzeptiert keine Strukturen, keine Verkleidungen, die den Blick auf die Realitäten der Welt, des Lebens und der Menschen verstellen könnten:
    "Der Mensch baut sich eine Schutzwall aus religiösen, politischen, persönlichen Vostellungen auf, die sich in Form von Symbolen, Ideen und Glaubensbekenntnissen zeigen. Die Last dieser Vorstellungen sind die Ursachen unserer Probleme, denn sie trennen den Menschen vom Menschen. Seine Wahrnehmung des Lebens wird von den Begriffen bestimmt, die sich in seinem Geist schon festgesetzt haben. Der Inhalt seines Bewußtseins macht sein ganzes Dasein aus. Dieser Inhalt ist der ganzen Menschheit gemeinsam. Die Individualität ist der Name, die Form und die oberflächliche Kultur, die ihm Umwelt und Tradition vermitteln. Die Einzigartigkeit des Menschen liegt nicht im Oberflächlichen sondern in der totalen Freiheit vom Inhalt seines Bewußtseins, das allen Menschen gemeinsam ist. Somit ist er kein Individuum.

    Freiheit ist ohne Reaktion; Freiheit ist nicht Wahl. Der Mensch gibt vor, frei zu sein, weil er wählen kann. Freiheit ist reine Beobachtung ohne Richtung, ohne Belohnung oder Angst vor Strafe. Freiheit ist ohne Motiv. Freiheit liegt nicht am Ende der Evolution des Menschen sondern im ersten Schritt seines Daseins. Beim Beobachten beginnt man, das Fehlen der Freiheit zu entdecken. Freiheit ist im wahl-freien Gewahrsein unseres täglichen Lebens und Handelns"
    (ebd.)

Jiddu Krishnamurti's Wahr-Nehmen und Wahr-Geben der Welt ist nicht mehr das der Einordnung, der Fixiert- oder Gerichtetheit.
Er stellt nicht(s) dar.
Wege und Methoden, die Grenzen implizieren, versucht er zu vermeiden, er akzeptiert sie nicht.
Krishnamurti kommt es nicht (mehr) auf bloße Grenzerweiterungen an: Seine Lehre ist ohne Grenze.
Eine Lehre, die keine ist.


.