Die pädagogisch-psychologische Konzeption der Krishnamurti-Schulen A

Zur Einführung - 
Die anthropologische und individuelle Bewußtseinsentfaltung 
 

Unsere Betrachtungs- und Erfassensweise der Wirklichkeit ist geprägt durch das naturwissenschaftliche Denken. 
Allem, was nicht empirisch belegbar ist, messen wir untergeordnete Bedeutung bei, welche bis zur Nichtbeachtung und Leugnung reicht. Wir verlegen diese Dinge in den Bereich der Phantasie, des Wunschdenkens oder der Spekulation. Selten kommt es uns in den Sinn, Wahrnehmungen und Wahrnehmungsweisen anzuerkennnen, die sich den allgemein anerkannten entziehen.

Doch gab (und gibt es) zu allen Zeiten Menschen, die sich den jeweils herrschenden Paradigmen entgegenstellten. Ihre Sprache und Ausdrucksformen bewegten und bewegen sich dabei meist immer gerade noch in einem verständlichen  - für die Zielgruppe, die angesprochen werden soll - und akzeptablen - für die sie umgebenden Institutionen und Sanktionsinstanzen - Spektrum der jeweiligen Kultur und Epoche.

Im folgenden soll der Ausschließlichkeitsanspruch unseres Denkens, unserer Bewertungsmechanismen für die derzeit vorherrschende Betrachtungsweise der Welt hinterfragt werden. 

Die Darstellung der anthropologischen (nach Jean Gebser) und individuellen (nach Jean Piaget) Bewußtseinsentfaltung in Verbindung mit der Erörterung verschiedener Erkenntnisweisen und -möglichkeiten des Menschen, wie sie Bonaventura, ein Mystiker und Philosoph des Mittelalters lehrte, soll ein Zugang, eine Hinführung zu Krishnamurti sein. 
Hiermit soll ein gewisses Verständnis für daß, was Krishnamurti sagte, geweckt werden. 

Nochmals möchte ich erwähnen, daß eine (hierdurch vielleicht möglich erscheinende) Einordnung von K. nicht Ziel dieser kurzen Abhandlungen ist; vielmehr soll die Ausschließlichkeit unserer gewohnten (rationalen, naturwissenschaftlichen) Mentalitäten und Weltsichten zur Diskussion gestellt und hinterfragt werden.

In  verkürzter Form  wird hier das Modell des schweizer Kulturphilosophen Jean Gebser vorgestellt, welches er in seinem Hauptwerk "Ursprung und Gegenwart" (1949) konzipierte und das insbesondere von Ken Wilber und Hugo Enomya-Lassalle geteilt wird.

Die bewußtseinsmäßige Entfaltung des Menschen vollzog und  vollzieht  sich hiernach von einem präpersonalem, unbewußtem Zustand - nach Jean Gebser die archaische Struktur über die Magische zu der Mythischen, weiter zu einem personalem Selbstbewußtsein, der mentalen Struktur, hin zu der aperspektivischen Welt, einem transpersonalem Bewußtsein, der integralen Struktur. 

Jean Gebser weist uns bereits zu Anfang seiner Ausführungen darauf hin, daß wir es keinesfalls mit einer "Entwicklung" im Sinne einer linearen Kontinuität zu tun haben. Diese Sichtweise entspringe einer ausschließlich mental orientierten Betrachtungsweise. Seiner Meinung nach müssen wir bei diesem Geschehen vielmehr von Mutationen sprechen, welche quantenmäßig, sprunghaft und indeterminiert geschehen. Erst unsere herkömmliche zeitbetonte Sichtweise konstruiert dann nachträglich einen kontinuierlich erscheinenden Ablauf hinein; darüberhinaus geben wir dem "Geschehen einen logischen, kausalen, determinierten und zudem finalen, uns beruhigenden Kontinuitäts-Charakter" (Gebser, J. 1986, S. 72), welcher der Realität aber allenfalls fragmentarisch gerecht wird, da diese, wie nicht oft genug betont werden kann, aus der Perspektive unseres mental orientiertem Bewußtsein wahrgenommen wird. 

Von der archaischen Struktur des menschlichen Bewußtseins nun können wir ab dem unbekanntem Zeitpunkt, wo wir das erste Mal ein annähernd menschliches Wesen vor uns haben, sprechen.

Jean Gebser verweist uns auf den glücklich gewählten Begriff der "Vorzeit": Dieser deutet bereits ein Charakteristikum des in dieser Epoche lebenden Menschen an: sein Bewußtsein liegt vor der Zeit; er hat kein Zeitbewußtsein.
Enomya-Lassalle sagt hiervon, es war eine "Zeit der Nicht-Unterschiedenheit von Mensch und All. Der Mensch war sich noch nicht als verschieden von seiner Umwelt bewußt" (Enomya-Lassalle, H. 1984, S. 36). 
Der Mensch dieser Epoche war zeitlos, ich-los und präpersonal. Die Erfahrungen die er machen konnte, waren auf Empirisches beschränkt. 
Gebser warnt uns davor, sich dieses Bewußtsein mit heutigen Begriffen vorzustellen, denn im Grunde sei "Praerationales rational nicht darstellbar" (Gebser, J. 1986, S. 97).

Die hiermit in Beziehung zu setzende Bewußtseinsentfaltung jedes einzelnen Menschen (unserer Zeit), wäre nach Jean Piaget das Stadium der sensomotorischen Intelligenz.
Das entwicklungspsychologische Modell von Jean Piaget (1970) unterscheidet vier Hauptstadien kognitiver Entwicklung, die ich hier zum vorherigen Überblick kurz einfügen möchte: 

    1. Das Stadium der sensomotorischen Intelligenz
    Diese reicht von der Geburt bis zum 18./24. Monat. Hier überwiegen die Sinneswahrnehmungen und reine Körperaktivitäten.
    2. Das Stadium des präoperationalen Denkens 
    In dieser Phase, im Lebensalter von ca. 1 1/2 bis 6 oder 8 Jahren ist das Denken an anschauliche Objekte gebunden. Auch die Sichtweise anderer Personen kann das Kind noch nicht teilen.

    3. Das Stadium der konkreten Operationen 
    In diesem Stadium sind (ab dem 8. Lebensjahr) im wesentlichen nur solche Denkvorgänge möglich, die im Prinzip auch als Handlungen ausgeführt werden können.

    4. Das Stadium der formalen Operationen
    Im Alter ab dem 11. Lebensjahr wird abstrakt-logisches Denken möglich, auch die Reflexion über das Denken.
Das erste Stadium, die Entwicklung der sensomotorischen Intelligenz ist mit demjenigen des archaischen Bewußtseins gleichzusetzen: Das Kleinkind lebt noch völlig in der Verschmelzung mit der materiellen Welt.
Jean Piaget schreibt hierzu:
    "Einerseits existiert am Ausgangspunkt der Erkenntnis kein bewußtes Subjekt - vor allem kein Subjekt, das sich seiner eigenen Existenz und Aktivität bewußt ist -, noch bestehen (vom Gesichtspunkt des Subjekts aus) völlig ausgebildete Objekte, die sich ihm entgegenstellen"(Piaget, J. 1974, S. 31-32).
Der Mensch ist in dieser Phase nur präpersonal existent, denn "der Säugling (gibt) weder Anzeichen eines Bewußtseins seiner eigenen Existenz, noch solche einer festen Grenze zwischen seiner Innenwelt und dem äußeren Universum. Dieser 'Adualismus' dauert solange, bis sich ein bewußtes Ich ausgebildet hat" (Piaget, J. 1974, S. 33).

Der Mensch nun mit magischem Bewußtsein, ebenso noch präpersonal, beginnt jetzt zwischen sich und anderen zu unterscheiden, "der Mensch ist zum ersten Male nicht mehr nur in der Welt, sondern es beginnt ein erstes, noch schemenhaftes Gegenübersein. Und damit taucht keimhaft auch jene Notwendigkeit auf: nicht mehr nur in der Welt zu sein, sondern die Welt haben zu müssen" (Gebser, J. 1986, S. 88, Hervorh. im Original). Sein entdecktes Gegenüber, die Natur, stellt sich ihm als etwas Feindseliges dar, das es zu beherrschen gilt: (Noch) ich- und zeitlos lebend, entwickelte der Mensch dieses Bewußtseins Rituale und Götzen: "er stellt sich gegen die Natur, er versucht sie zu bannen, zu lenken, er versucht, unabhängig von ihr zu werden; er beginnt zu wollen" (ebd. S. 88, Hervorh. im Original).
Es war seine Möglichkeit des Ausdrucks, des Darstellens eines aufkeimenden Bewußtseins von Ichhaftigkeit. Ein schmerzlicher Herausfall aus der völligen Verbundenheit mit der Natur, begann sich zu vollziehen, aber "in einem gewissen Sinne kann man sagen, daß in dieser Struktur das Bewußtsein noch nicht im Menschen ist, sondern noch in der Welt ruht" (ebd. S. 88).
Ken Wilber spricht, gleich Piaget (siehe oben), ebenfalls von einem A-Dualismus: "Weil Subjekt und Objekt noch nicht völlig differenziert sind, bleiben alle magisch miteinnander verbunden oder 'a-dual'"(Wilber, K., 1990, S. 60).

In der nächsten Phase, der mythischen Gruppenzugehörigkeit, die vor etwa 12.000 Jahren wirksam wurde, erwachte das Ich-Bewußtsein in der Einbettung des Gruppenbewußtseins. Gebser schreibt: 

    "Führte die archaische Struktur durch den Verlust der Ganzheit zur Einheit der magischen Struktur und war damit ein erstes dämmerhaft zunehmendes Bewußtsein des Menschen als einer Einzelung vorgegeben, so brachte die magische Struktur durch den in ihr sich abspielenden Befreiungskampf gegen die Natur eine Herauslösung aus der Natur und damit die Bewußtwerdung der Außenwelt"
    (Gebser, J. 1986, S. 113).
Mythen und Symbole wurden geboren und standen für die verlorengegangene Einheit  von Mensch und Kosmos. Sie repräsentierten den Versuch einer re-ligio, des Versuchs der Rück-bindung zu Gott, zur Einheit, zum verlorenengegangenen Paradies hin. 
Der Mensch dieser Epoche trat nun bewußt in die Zeit, in ein Zeit-Bewußtsein ein, doch "ist es mehr ein Zeitgefühl als ein Zeitwissen" (ebd. S. 107).
Der aufkommende Ackerbau war die erste Auswirkung (und Ursache) eines neuen Zeitbegriffs, indem nicht mehr nur in der Gegenwart gearbeitet wurde, sondern Vorsorge für das Morgen, für zukünftige "Belohnung" getroffen wurde. Das Leben und das Bewußtsein erfuhren eine Ausdehnung auch auf die Zukunft hin.
Dem magischen Stadium entspricht das präoperante Stadium bei Piaget; hauptsächlich konkrete Objekte haben Bedeutung. Die Umwelt wird langsam Gegenstand einer bewußten Wahrnehmung in dem Sinne, daß "Handlungen nicht mehr auf den eigenen Körper zentriert werden, sondern dieser, als ein Objekt unter anderem, in einen Raum eingebettet wird, der ihn und andere Objekte umschließt" (Piaget, J. 1974, S. 35). Diese Differenzierung geht weiter und bereitet die Ausbildung der mentalen Struktur vor, indem "die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekten und eine Dezentrierung auf der Ebene der materiellen Handlungen, die, zusammen mit der semiotischen Funktion, die Vorstellung oder das Denken im eigentlichen Sinn möglich machen" (ebd., S. 36, Hervorh. i. Original). Auch bei Gebser ist die differenzierte Kommunikation in Form von Sprache und Zeichen Voraussetzung und Äußerung der mentalen Struktur (vgl. Gebser, J. 1986, S. 111 - 114).
Das Stadium der konkreten Operationen kann mit demjenigen des mythischen Gruppenbewußtseins in Beziehung gesetzt werden: Götter, Mythen und Symbole haben menschliche Eigenschaften und sind somit konkret in jedem selbst erlebar.

Der Körper ist nun zum Objekt geworden, zu einem Gegenüber, womit es möglich wurde, triebhafte Impulse zu verzögern, Bedürfnisbefriedigungen in die Zukunft zu verlagern.

Die Aera der mentalen Struktur datiert nun um 1.500 vor Chr. Ab diesem Zeitraum können wir von dem Beginn der Ausbildung einer rationalen Struktur sprechen. Eine bedeutende Äußerung dieser neuen Epoche ist die aufkommende Philosophie (besonders im griechischen Kulturkreis): "Es ist eine Welt des Menschen; ... in welcher 'der Mensch das Maß aller Dinge' ist (Protagoras); in welcher der Mensch selber denkt und dieses Denken richtet" (Gebser, J. 1986, S. 132, Hervorh. im Original).
Die Mythen verschwanden im selben Maße, wie die Philosophien sich entwickelten und die Bedeutung und den Einfluß des Mythos übernahmen. Enomya-Lassalle hierzu: "Während für die magische Struktur die Emotionalität bezeichnend ist und für die mythische, die Imagination, entspricht der mentalen die Abstraktion" (Enomya-Lassalle, H. 1984, S. 48f.).
Rationales und abstrahierendes Denken gewann seit Aristoteles in zunehmendem Maße die Oberhand. Das Denken wurde objektbezogen und auf die Dualität ausgerichtet.
Gebser stellt den Unterschied zur mythischen Struktur heraus, wenn er schreibt:

    "Verglichen mit der zeithaft-seelisch betonten mythischen Struktur, mutet der Übergang in die mentale an wie ein Fall aus der Zeit in den Raum. Aus der Geborgenheit des zweidimensionalen Kreises und aus dessen Einschließung tritt der Mensch hinaus in den dreidimensionalen Raum: da ist kein In-Sein polarer Ergänztheit mehr; da ist das fremde Gegenüber, der Dualismus, der durch die denkerische Synthese, diese mentale Form der Trinität, überbrückt werden soll; denn von Einheit, Entsprechung, Ergänzung, geschweige denn von Ganzheit ist nun nicht mehr die Rede"  
    (Gebser, J. 1986, S. 132, Hervorh. i. Original). 
Der Zeitbegriff verlagerte sich von einem jahreszeitlichem Denken und Empfinden, (kreisförmig und geschlossen) hin zu einer linearen  Wahrnehmung der Zeit, wie sie heute noch vorherrschend ist. Scholastik, Rationalismus, Empirismus wurden - und sind es bis heute - grundlegend für diese Epoche.
Diese Epoche entspricht dem Stadium der formalen Operationen bei Piaget; logisches, rein abstraktes Denken, die Welt der Vorstellung wird möglich.

Doch noch ein weiterer Unterschied zu den anderen Strukturen wird erkennbar, wenn Gebser von unserer Zeit sagt, daß "in der vom Menschen gemessenen und gedachten Welt die ungemessene und sich selbst denkende Welt, also die mythische Bilderwelt, keinen Platz (hat); im besten der Fälle wird ihr der Gegenplatz zugewiesen; denn für das messende Denken gibt es keine Brücke zu dem Unermeßlichen; im Sinne des Maßes ist es nicht oder bestenfalls ist es ein 'Nichtsein'" (ebd., 1986, S. 144), womit bereits - in einer anderen Qualität - die Brücke zum Verständnis der Struktur des "integralen Bewußtseins" geschlagen wird.

Nun, so glaubt Gebser, tritt der Mensch in eine neue Phase der Bewußtseinsentfaltung ein; diejenige der aperspektivischen Welt, oder integralen Struktur. 
Anzeichen hierfür macht Gebser im kulturellen Bereich aus: Erkenntnisse der Physik (Wellen- und Teilchencharakter des Lichts, die Relativierung der Zeit, die Heisenberg'sche Unschärferelation mögen für diesen Bereich stellvertretend stehen), das Proklamieren des Endes der Philosophie (so z.B. bei Wittgenstein), die Auflösung der (dreidimensionalen) Perspektive und der Zeit in der Kunst (bei Picasso und Kandinsky, um hier nur zwei herausragende Vertreter zu nennen) sollen als äußere Hinweise dienen. Im theologischen Bereich befriedigen (weder der Glaube) noch rationale Erklärungen, z.B. (logische) Gottesbeweise etc. einen Großteil der Menschen nicht mehr.

Die aperspektivische Welt kennzeichnet drei Ausdrucksformen:
Zum ersten der Versuch die begriffliche  Zeit zu überwinden; zu "Zeitfreiheit" zu gelangen; zum zweiten der Versuch die Realität nicht mehr durch rationale Schlußfolgerungen zu erfassen, sondern das Wesen der Dinge hinter den sie vermittelnden Begrifflichkeiten und Symbolen zu erfahren; und drittens, zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung zu gelangen.
Diese "Fähigkeiten" setzen Ichlosigkeit (in einem "transpersonalen" Sinne) voraus: Eine Wahrnehmung und Erkenntnis der Realität, der Dinge, die in ihrem Wesen nicht durch persönliche Meinungen und Ansichten gekennzeichnet ist.
Dadurch hätten wir die Verwirklichung des Paradoxons einer bewußten Persönlichkeit und völligen Selbstlosigkeit.

Ein Versuch uns die verschiedenen Bewußtseinsstrukturen weiter zu verdeutlichen, ist die Zuhilfenahme der Dimensionen:

    War das Bewußtsein des archaischen Menschen noch ohne jede Dimension, gewissermaßen 0-dimensional, das magische Bewußtsein "unitär" und punkthaft, ein-dimensional, das mythische durch das In-Erscheinung-treten eines (noch verschwommenen) Gegenübers, des Mythos, zweidimensional, entdeckt die mentale Struktur die Perspektive, den Raum, wie sie in der dritten Dimension z.B. in der Malerei, zum Ausdruck kommt. Die aperspektivische Welt, durch die Loslösung von der Zeit, der Überwindung der Ausschließlichkeit der mentalen Struktur gekennzeichnet, wäre die vierte Dimension, im Grunde eine "Amension" (Gebser). Enomya-Lassalle schreibt:
    "Wer die drei bisher grundlegenden Zeitformen, d.h. magische Zeitlosigkeit, mythische Zeithaftigkeit und die mentale begriffliche Zeit zu realisieren und damit zu konkretisieren vermöchte, steht bewußt in der Vierdimensionalität" (Enomya-Lassalle, H. 1984, S. 77)
Und Gebser versucht uns nahezubringen, daß dieses Bewußtsein "weder Wissen noch Gewissen ist" sondern in einem "wachen Gegenwärtigsein" besteht, welches "jede Art von zukunftsgerichteter Finalität als Widerspruch zu sich selbst ausschließt", und - bedingt durch diese "Unvorsätzlichkeit" - "jede Art von Utilitarismus"  ausschließt (vgl. Gebser, J. 1986, S. 81).

Der Ansatz zu einer aperspektivische Welt oder einem transpersonalen Bewußtsein fehlt bei Piaget völlig. Ein Grund hierfür könnte sein, daß in unserer Epoche (noch) sehr wenige Menschen zu solchen "Erfahrungen" gelangen, und in unserem derzeitigem "evolutivem" Stadium meist auch nicht "automatisch" ab einem gewissen Lebensalter.

Einen anderen, ergänzenden Versuch die mental-rationalistische Sicht- und Erkenntnisweisen unserer Epoche in Frage zu stellen und die Realität zu erkennen, zeigt Bonaventura (1217/21 - 1274), ein Philosoph und Mystiker des ausgehenden Mittelalters, auf, indem er die Erkenntnisweisen über die der Mensch verfüge, in drei Bereiche einteilt: 
Er sprach von dem Auge des Fleisches, dem Auge der Vernunft sowie dem Auge der Kontemplation.

Das Auge des Fleisches vermittelt uns die Erkenntnis von Sinnesobjekten - allen materiellen Dingen, dem Raum, aber auch der (physikalischen) Zeit. 

Das Auge der Vernunft ermöglicht uns den Zugang zu geistigen Bereichen; zu der Logik, der Philosophie, der Mathematik etc.
Das Auge der Kontemplation wiederum läßt uns transpersonale, transzendente Wirklichkeiten erschließen und erkennen.

Das Auge des Fleisches läßt uns durch die Sinne, wie Hören, Sehen, Tasten usw. an einer empirisch erfaßbaren Welt, wenn auch in einer fragmentarischen Weise, teilhaben.
Fragmentarisch deshalb, weil uns Realitäten der Welt durch direktes Erfahren  verschlossen bleiben: wir hören Töne nicht oberhalb und unterhalb einer bestimmten Frequenz, wir sehen nur innerhalb eines bestimmten Farbspektrums, wir haben keinen Sinn für Radioaktivität u.v.m. Unsere Wahrnehmung mittels dem Körper ist somit bruchstückhaft und begrenzt.
Doch teilen wir dieses "Auge" in unterschiedlicher Ausprägung mit allen Menschen, vielen Tieren, und - wie Experimente zeigten - vielleicht auch Pflanzen.

Das Auge der Vernunft erschließt uns nun Wirklichkeiten im Bereich der Vorstellung, des Verstandes und der Logik. Die Mathematik und die Philosophie mögen als Beispiele dienen: 
Wenn eine Aussage in der Mathematik folgerichtig und logisch ist, muß ihr in der materiellen, sinnlich erfahrbaren Welt nicht unbedingt Existenz zukommen, wie uns dies die irrationalen, die negativen Zahlen oder die Quadratwurzeln beweisen. Diese sind nicht sinnlich erfahrbar; ich muß sie mir vorstellen. Ebenso muß eine philosophische Schlußfolgerung keine reale Entsprechung haben.
Logik, Vernunft, Vorstellung, Wille können zwar sinnliche Erfahrungen beinhalten, gehen aber evident über sie hinaus.

Das Auge der Kontemplation wiederum ist eine transpersonale, transzendente, Übergeordnete Wirklichkeit, welche die beiden ersteren Erkenntnisweisen keineswegs leugnet, sondern sie - wie die Vernunft die Erfahrung - miteinschließt.  Das Auge der Kontemplation stellt eine weitere Intensivierung der Erkenntnis der Realität dar.
Über diesen Wahrnehmungsbereich sprachliche Aussagen zu machen, ist eigentlich unmöglich, denn Sprache, - wie jede Symbolik - beinhaltet stets eine Konkretisierung, die mit einer Einengung der Wirklichkeit einhergeht. (Das Wort "Baum" ist etwas anderes als der Baum selbst, und das Wort "Liebe" oder ein Symbol hierfür, ist nicht die Liebe selbst.) Symbole sind nur Äußerungen, nie der Inhalt selbst.
Und trotzdem bleibt die Zuhilfenahme von Symbolen oft die einzige Möglichkeit, um auf Transzendentes hinzuweisen.

An dieser Stelle sei im Vorgriff Jiddu Krishnamurti erwähnt, der die Vermittlung von "dem was ist", wie er sich oft - besetzte Begriffe wie Gott, All-Einheit, transzendente Wirklichkeit, das Höchste u.v.a. vermeidend, aber  nichtsdestoweniger gleichfalls höchst abstrakt - ausdrückte, in erster Linie mittels der Sprache versuchen (mußte), obwohl er sich im klaren war, daß wahre Erkenntnis niemals durch Erklärungen erreicht werden kann.

Das Auge der Kontemplation ist zwar arational, aber nicht irrational oder gar antirational. Es entzieht sich nur einer rein logischen, verstandesmäßigen Betrachtung.

Vielleicht wird hier auch ein Mißverständnis und die damit verbundenen erbitterten Streitigkeiten und Kämpfe in den verschiedenen Wissenschaften und Disziplinen einsichtig:
Empirie, (Experimente, das Sammeln von Daten usw.) kann eine logische Auswertung, die Vernunft nicht ersetzen und umgekehrt, sie ergänzen sich im günstigen Fall. Ebenso kann (logische) Philosophie den Bereich der Mystik nicht besetzen und mit ihren Mitteln erklären wollen. Der Umkehrschluß gilt auch hier.
Das Hauptproblem liegt nun darin, wenn ein Erkenntnisbereich bzw. deren Vertreter - Empiristen kontra Rationalisten kontra Mystiker; oder um zur Psychologie zu kommen: Behavioristen, Verhaltenspsychologen kontra Tiefenpsychologen und Psychoanalytiker kontra Vertreter der Transpersonalen Psychologie - versucht die jeweils andere Seite mit seiner Methode zu widerlegen. 
Ein grundlegender Irrtum, den auch Krishnamurti apriori immer wieder in vielen Bereichen aufdeckt, wenn er z.B. von Gott sagt, daß bei den meisten Menschen dieses Wort nur ein Gedankenkonstrukt bedeuten würde, nicht etwas "Gelebtes" sei, sondern nur auf Vorstellungen, Prinzipien und Bildern beruhe: wie "Gott" - nach unseren Wertvorstellungen - zu sein habe, nämlich gut, weise, gerecht usw.
Hier wird ebenfalls die Vorstellung mit der tatsächlicher Realität, oder das Auge der Vernunft (das die Fähigkeit zur Vorstellung beinhaltet) mit dem Auge der Kontemplation verwechselt.

Nun könnte man einwenden, diese Erkenntnisse seien subjektiv, nicht für jeden zugänglich und daher auch nicht überprüfbar. Sie sind es jedoch nur nicht für diejenigen, die keinen Zugang zu dieser Erkenntnisstruktur haben. Zur Veranschaulichung:  Chemische Formeln, mathematische Beweisführungen, theoretische Erkenntnisse in der Physik bleiben auch all jenen unzugänglich, die nicht über die wissensmäßigen und methodischen Voraussetzungen und die Intelligenz verfügen, um diese nachzuvollziehen. Dennoch berührt dies den Wahrheitsgehalt (der Erkenntnis und der Realität) überhaupt nicht.

Das (meiner Ansicht nach) Verbindende und Gemeinsame dieser Ansätze mit den Aussagen und Intentionen Jiddu Krishnamurti's wird am Ende der Ausführungen über die Lehre K.'s ersichtlich werden und in Teil D, Punkt 2, noch einmal angeschnitten.